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Beitrag vom 11.11.2013
Herbst 2013: Konträre Positionen in der aktuellen Prostitutions-Debatte in Deutschland
Lea Albring
Seit 2002 gilt Sexarbeit hierzulande per Gesetz als legale Erwerbstätigkeit. Elf Jahre später entbrennt eine neue Diskussion, die für politisches und gesellschaftliches Umdenken eintritt.
Präsenz auf medialem ParkettSpätestens seit Sonntagabend, dem 10. November, wird dem Thema Prostitution in unserer Medienlandschaft ein breites Interesse geschenkt. In gewohnter Manier stieß in der ARD ein sozialkritischer Tatort ein Thema an, an dem sich die anschließende Talkrunde bei
Günther Jauch abarbeiten konnte. "Großbordell Deutschland – muss Prostitution verboten werden? ", fragte Jauch die DiskussionsteilnehmerInnen seiner Show. Auch die Zeitschrift
Emma setzt in ihrer aktuellen Ausgabe mit dem "Appell gegen Prostitution" die Auseinandersetzung mit Sexarbeit wieder ganz oben auf die Agenda. Mehr als 90 Prominente, darunter Margarethe von Trotta und Maria Furtwängler, unterzeichneten bereits die Kampagne, die sich für die Abschaffung von Prostitution ausspricht.
Ein unwirksames Gesetz?Die Aktualität des Themas ist auch darin begründet, dass mehr als elf Jahre nach der Einführung des Prostitutionsgesetzes bilanziert werden darf: Was hat es bewirkt? Wem dient es? Wo gibt es Handlungsbedarf? Ziel der rot-grünen Neuerungen von 2002 war es, SexarbeiterInnen rechtlich und gesellschaftlich zu stärken. Seit Prostitution nicht mehr sittenwidrig, sondern ein anerkannter Beruf ist, können SexarbeiterInnen Kranken-, Sozial- und Rentenversicherungen abschließen und ihren Lohn gerichtlich einklagen. Doch kann ein solches Gesetz in einer Branche, die sich bis in die Gegenwart hinein nicht von Fremdbestimmung, Ausbeutung und Menschenhandel freimachen kann, überhaupt greifen? Die Statistik zeichnet ein eindeutiges Bild: Von schätzungsweise 400 000 Prostituierten in Deutschland haben laut Agentur für Arbeit lediglich 44 eine Sozialversicherung abgeschlossen. GegenerInnen des Gesetzes monieren außerdem, es habe nicht die Rechte der Prostituierten, sondern die der BordellbetreiberInnen und Zuhälter gestärkt. War es vor 2002 noch strafbar, Räumlichkeiten für die Sexarbeit zu schaffen, ist es nun legal.
Frankreich geht andere WegeAuch weitere Hard Facts und Untersuchungen attestieren dem Gesetz eine geringe Wirksamkeit. Schon 2007 gab die Bundesregierung eine
Studie in Auftrag, die bezüglich der Arbeitsrealität für Prostituierte
"kaum messbare positive Wirkungen in der Praxis" feststellen konnte. Die liberale Gesetzgebung in Deutschland führt zudem dazu, dass vermehrt Sextouristen aus dem Ausland kommen, um legal eine Sexarbeiterin aufsuchen zu können. In Frankreich beispielsweise gibt es schon jetzt ein Gesetz, das "unmoralische Einkünfte" untersagt. Darüber hinaus möchte
Najat-Vallaud-Belkacem, Frankreichs Ministerin für Frauenrechte, künftig auch das Bezahlen für Sex unter Strafe stellen und damit der Prostitution in ihrem Land einen Riegel vorschrieben.
Empfehlungen des Deutschen Frauenrates für die große KoalitionBei den aktuellen Koalitionsverhandlungen von Union und SPD ging es unlängst auch um das Thema Prostitution und Menschenhandel. Der Deutsche Frauenrat begrüßt, dass die zukünftige Koalitionsregierung den Menschenhandel stärker bekämpfen, seine Opfer besser schützen und gleichzeitig die Rechte und Sicherheit von Prostituierten stärken will. Für die künftige Bundesregierung sei es allerdings unerlässlich, in ihrer Gesetzgebung zwischen Prostitution und Menschenhandel zu differenzieren. Änderungen im Prostitutionsgesetz seien vor allem in Hinblick auf den besonderen Schutz für SexarbeiterInnen zwischen 18 und 21 wünschenswert. Konkret fordert der Deutsche Frauenrat eine flächendeckende Sozialversicherung für alle in der Prostitution arbeitenden Frauen und regelmäßige Angebote für Gesundheitsuntersuchungen und Beratungen außerhalb der Arbeitsstätte. Darüber hinaus will der Frauenrat das Gesetz im Sinne einer Verbesserung der Lebensumstände für Prostituierte verändern und eine Erlaubnispflicht für Prostitutionsstätten einführen.
Zwischen Selbst- und FremdbestimmungAuf der anderen Seite gibt es auch Verbände wie Doña Carmen e.V., ein Verein, der sich für die sozialen und politischen Rechte von Prostituierten stark macht. Die InitiatorInnen begehrten bereits im Sommer dieses Jahres auf, als die Bundesregierung noch im Wahlkampf eine Verschärfung des Prostitutionsgesetzes durchbringen wollte – der Versuch scheiterte vor dem Bundesrat. Der Verein verweist mit Nachdruck darauf, dass SexarbeiterInnen mehr Rechte, nicht allerdings mehr Kontrolle, wie es der Gesetzesentwurf vorsah, benötigten.
Dass es aktuell eine neue Sensibilität für das Thema Prostitution gibt, ist absolut begrüßenswert. Wichtig ist allerdings, dass die Diskussion differenziert geführt wird.
Zwischen einer selbstbestimmten Sexarbeiterin und einer ausgebeuteten Zwangsprostituierten gibt es einen himmelsweiten Unterschied – Sexarbeit ist nie gleich Sexarbeit.
Einem differenzierten Umgang mit Sexarbeit widmet sich auch der
Internationale Hurentag am 17. Dezember, der sich gegen Gewalt an ALLEN SexarbeiterInnen ausspricht.
Weitere Informationen unter:www.ardmediathek.deStudie der Bundesregierung zum Prostitutionsgesetzwww.frauenrat.deDoña Carmen – Verein für soziale und politische Rechte von Prostituierten (Frankfurt)Hydra – Treffpunkt und Beratung für Prostituierte (Berlin)Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:Internationaler Hurentag - (K)Ein Grund zum Feiern. Save the date: 17. Dezember - Internationaler Tag gegen Gewalt an Sexarbeiter_innen(Quellen:
Günther Jauch,
www.taz.de)